Click uns!: Einigkeit oder die Dynamik von Missverständnissen durch Fehlprägung - Klärung der Begrifflichkeiten in der Praxis - Die gemeinsame (Pferde)Sprache - Geschmeidigkeit - Grundhaltung - Basishaltung - Okkasionshaltung - Dehnungshaltung - Beispiele
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Die gemeinsame (Pferde)Sprache; Geschmeidigkeit, Grundhaltung, Basishaltung, Okkasionshaltung und Dehnungshaltung
Eine der größten Ursachen für Verständnishürden und damit Grund für Auseinandersetzungen überhaupt - und das nicht nur im Pferdebereich - ist meines Erachtens nach die von Mensch zu Mensch unterschiedliche Auffassung von Begriffen, also im weitesten Sinne die individuelle, subjektive Zuordnung von Wörtern zu Ereignissen und damit Sinneseindrücken.
Ganze Reitlager überwerfen sich aufgrund von Missverständnissen, im Grunde genommen lediglich verursacht durch ungleiches Begriffsverständnis, aber einig sind wir uns fast alle damit, dass man sich nicht mehr einig ist.. Uneinigkeit herrscht darüber, was eine korrekte Hankenbeugung
ist, wie eine richtige Dehnungshaltung auszusehen hat und es wird sich darüber gestritten, wie ein Pferd aussieht, das in Losgelassenheit läuft. Selbst über das richtige Vorwärts-Abwärts ist man mittlerweile unterschiedlichster Auffassung, ganz zu schweigen davon, zu welchem Zweck welche Haltung wann abgerufen werden sollte oder nicht. Eine Tatsache, die ich persönlich sehr bedauere, wollen wir doch alle das Gleiche, nämlich das Beste für Pferd und Reiter.
Wird Missverstandenes oder faktisch Falsches ohne Widerspruch immer wieder als richtig dargestellt, führt das über kurz oder lang dazu, dass sich diese missverstandenen oder falschen Bilder mitsamt ihrer Begriffszuordnungen bei uns
einprägen, sich durch ihre unkorrigierte Weitergabe verbreiten, immer mehr Übereinstimmung finden, letztendlich nicht
mehr hinterfragt und sodann irgendwann von der Mehrzahl als grundsätzlich richtig wahrgenommen werden.
Wird beispielsweise ein Foto verbreitet, auf dem ein Pferd abgebildet ist, das kein richtiges Vorwärts-Abwärts im ursprünglichen Sinne zeigt und steht unter dem Foto "Pferd im korrekten Vorwärts/Abwärts" werden sich recht bald Einige finden, die sich dieses Bild als korrektes Vorwärts-Abwärts einprägen. Es wird nicht lange dauern, bis dieses falsche Wissen als richtig weiterkommuniziert wird und so seinen Lauf nimmt: der Start eines klassischen Fehlprägungs- mechanismus.
Neben diesen klassischen Fällen finden sich die Fehlprägungsverwirrungen auch im Reitergefühl selbst wieder. Immer wieder erlebe ich, dass in der Reitpraxis Eindrücke die der Reiter hat so wie Beobachtungen oder Bewegungen die er macht, faktisch eindeutig unzulänglich sind , jedoch als fehlerfrei gelobt werden, wohingegen Situationen die fehlerfrei sind, nicht als solche bestätigt werden.
Als gäbe es nicht schon genügend Verwirrungen, kommen seit einigen Jahren durch Pferde, die aufgrund der angesprochenen negativen Zuchtentwicklung körperliche Defizite
erworben haben und dadurch gar nicht mehr in der Lage sind Haltungen zu zeigen die der ursprünglichen Begriffsdefinition entsprechen, neue Irritiationen hinzu. Oft wird nicht erkannt, dass solche Pferde körperlich schlicht nicht in der Lage sind, korrekte Haltungen zu zeigen, weswegen oft versucht wird, den von den betroffenen Pferden gezeigten ungesunden Körperhaltungen trotzdem die zu gesunden Pferden passenden Begriffe zuzuordnen. Dieses Phänomen findet sich auch bei im Exterieur weniger begünstigten Pferden, die nicht explizit der modernen Zucht zugeordnet werden können wieder.
Begriffsverwirrungen führen zu Missverständnissen, die wiederum zu Auseinandersetzungen führen. Der Versuch, im Gebäude weniger begünstigten Pferden Begrifflichkeiten zuzuordnen zu deren richtiger Ausführung sie körperlich nicht in der Lage sind, führt zu zusätzlichen Irritationen.
Jeder von uns Pferdemenschen trägt einen großen Wissens- und Erfahrungsschatz in sich und jeder von uns hat seine ganz persönlichen Stärken. Würden wir - (die sich einig sind) - alle gemeinsam unsere Stärken miteinander vereinen und gleichzeitig in jeder Form respektieren und erhalten was jeder von uns für sich geschaffen hat, wären wir ein verdammt starker Haufen der Unglaubliches bewirken könnte! :-)
Grundsätzlich halte ich nicht sehr viel davon, die Reiterei mitsamt der gängigen Begriffe neu zu erfinden wenn es denn nicht unbedingt sein muss. Viele alte Reitmeister wie zum Beispiel Gustav Steinbrecht dessen Lektüre "Das Gynmasium des Pferdes" ich sehr gerne weiterempfehle, verstanden es meiner Meinung nach hervorragend, eine plastische Vorstellung von `Richtig´ unmissverständlich in Worte zu kleiden. Dieses nach wie vor richtige Richtig kann natürlich aber auch nur von Pferden gezeigt werden, die körperlich dazu in der Lage sind!
Die Begriffsverwirrungen haben sich nun schon erschreckend weit verselbständigt und verbreitet. Einige, die das Problem bewusst oder unbewusst erkannt haben, suchen mit unterschiedlichster Ansätzen bereits nach Lösungen. Ich selbst habe mich vor Langem dazu entschieden, betroffenen Pferdebesitzern (wieder) zu einer zu den existierenden Begrifflichkeiten passenden Wahrnehmung zu verhelfen. In der Praxis gestaltet sich diese Klärung falsch belegter Begrifflichkeiten für gewöhnlich nicht ganz einfach, insbesondere dann, wenn man für sich - subjektiv berechtigterweise - völlig davon überzeugt ist, dass die eigene Interpretation die einzig Richtige ist. Ein wenig leichter wird es, wenn diese Überzeugung von einem Reitergefühl begleitet wird, welches einem hin und wieder zuflüstert, dass irgendetwas nicht so ganz passt..
Sehr gute Erfahrungen habe ich gemacht, wenn man sich fürs Erste darauf einigt, betroffene, fehlgeprägte Begriffe erst einmal völlig außen vor zu lassen. In Training oder Korrektur konzentriert sich der Reiter dann nur auf das was er wahrnimmt und fühlt und optimalerweise versucht er genau das möglichst zutreffend beschreibend zu artikulieren. Passen Reitergefühl, Pferdebewegung und Beschreibung gut zusammen, wird der Reiter das intuitiv als gutes Gefühl empfinden. Der Trainer, der diese Harmonisierung sofort im richtigen Moment erkennt, wird sie mit dem Erwähnen des dazugehörigen Begriffes bestätigen. Mit der Zeit entwickelt sich beim Reiter so (wieder) ein sicheres Gefühl passend zum richtigen Begriff.
Werden Worten die richtigen Eindrücke zugeordnet, wird das meist als zum passenden Begriffsverständnis führender Erkenntnisgewinn wahrgenommen.
Im Exterieur begünstigte Pferde sind in der Lage, Körperhaltungen zu zeigen, die den in der Reiterwelt existierenden Begriffen wie zum Beispiel "Dehnungshaltung", "Versammlung", "Hankenbeugung", "Losgelassenheit" etc., eindeutig zugeordnet werden können. Für Viele ist es schon schwierig genug zu erkennen welche dieser Haltungen ein gut gebautes Pferd zeigt und wie diese heisst. Noch viel schwieriger ist es, Haltungen nicht perfekt gebauter Pferde zu erkennen und richtig zu beurteilen. Im Exterieur defizitäre Pferde sind meist nicht in der Lage Körperhaltungen zu zeigen, die den Begriffen eindeutig zugeordnet werden können. Sie zeigen abweichende Körperhaltungen die aber für Ihr individuelles Exterieur trotzdem gut sein können. So kann ein defizitäres Pferd eine Dehnungshaltung zeigen, die völlig anders aussieht als die von einem gesund gebauten Pferd. Nichts desto trotz zeigt es eine, für sein Exterieur korrekte Dehnungshaltung. Zeigt ein gut gebautes Pferd eine Haltung die aussieht wie die Dehnungshaltung eines kritischen Pferdes dann wiederum ist das keine Dehnungshaltung. In der Praxis wird dieser Umstand oft übergangen was zu falschen Deutungen der gezeigten Haltung oder zu falschen Leistungserwartungen und damit zu Missverständnissen führt. Um auch hier Klarheit zu schaffen wird in meiner Pferdewelt unmissverständlich zwischen dem Training von im Exterieur unkritischen Pferden und der Korrektur von im Exterieur kritischen Pferden unterschieden.
Um sich ergebnisorientiert über die gemeinsamen Absichten austauschen zu können, sind Begrifflichkeiten wichtig. Als in der Praxis meist sehr hilfreich hat sich herausgestellt, sich gegebenenfalls übergangsweise spezieller optionaler Korrekturbegriffe oder Umschreibungen zu bedienen. Für die sich leider immer mehr häufenden Korrekturfälle und der damit notwendigen Unterscheidung zu gesunden Pferden, hielt ich es für sinnvoll, die Begriffe "Grundhaltung", "Basishaltung" und Okkasionshaltung", so wie eine weitläufiger adaptierte, inhaltlich eher stichpunktartige Definition der "Dehnungshaltung" anzubieten. Übergänge zwischen den haltungsbeschreibenden Begriffen können naturgemäß freilich fließend sein und eine theoretische Beschreibung kann keinesfalls die praktische Erklärung vor Ort ersetzen.
GESCHMEIDIGKEIT
Die natürliche, elegante, anmutige Erscheinung dieser Geschöpfe darf nicht gestört werden. Der Erhalt , beziehungsweise die Wiedererlangung der größtmöglichen Geschmeidigkeit ist das unbedingte Resultat aller Bemühungen an, mit und auf dem Pferd. Unter und mit dem Reiter ist die Geschmeidigkeit das unabdingbare Resultat der bestmöglichen und wiederstandsfreien Abstimmung aller körperlichen und geistigen Facetten von Pferd und Reiter im optimalen (Kräfte)gleichgewicht. Dein Pferd kann sich unter Berücksichtigung seiner (Korrektur)potentiale unter Dir nur so geschmeidig zeigen wie Du es selbst bist. Ein geschmeidiger Reiter verfügt idealerweise sowohl über eine sehr gute mentale Ausgeglichenheit als auch Körperkontrolle. Er kann insbesondere seine Muskeltoni derart flexibel adaptieren, dass er diese im Sinne der nächsten Bewegungsabfrage vorausschauend im richtigen Moment und in der richtigen Intensität auf das Pferd zu übertragen vermag. Ein geschmeidiger Reiter sitzt weder zu tief noch nicht tief genug, er hat das Pferd vor sich ohne vor oder hinter der Bewegung zu sitzen. Er sitzt in der Bewegung und damit im Pferd. Das Pferd folgt seinen umsichtigen Impulsen im Vertrauen.
Insbesondere bei der Korrektur sehr aus dem Gleichgewicht genommener und dementsprechend wenig gschmeidiger Pferde jedoch, kann es gegebenenfalls vermehrt vorkommen, dass der Reiter dem Pferd seine Geschmeidigkeit förmlich aufdrängen muss. Da sich allerdings die Dynamik des Pferdes stets auf den Reiter überträgt, kann die Zeit der korrigierenden Abstimmung unter gewissen Umständen phasenweise durchaus etwas unharmonisch wirken.
GRUNDHALTUNG
Die natürliche, vom Reiter weitgehendst unbeeinflusste Körperhaltung die das Pferd von sich aus in Stand und Bewegung , in Freiheit so wie an der Longe als auch unter dem passiven Reiter möglichst frei von aktiver Hilfengebung in seinem derzeitigen körperlichen und mentalen Ist-Zustand zeigt, ist die Grundhaltung.
Die Grundhaltung kann idealerweise der Basishaltung entsprechen. Besonders bei Pferden mit ungünstigem Exterieur jedoch, ist die Grundhaltung meist stark verbesserungsbedürftig.
Über die Grundhaltung wird ermittelt, ob das Pferd vor Aufnahme des Trainings aufgrund seiner Körperlichkeiten zur Verbesserung zuerst mit Korrekturmaßnahmen hin zu einer
Basishaltung aufgebaut werden sollte, oder ob sogleich mit Trainingsmaßnahmen gestartet werden kann:
Entspricht die Grundhaltung nicht der Basishaltung, bedarf es zur Verbesserung bis hin zur Basishaltung Korrekturmaßahmen.
Entspricht die Grundhaltung der Basishaltung, kann direkt mit normalem Training begonnen werden.
BASISHALTUNG
Die Basishaltung ist die Grundlage, also die Basis für die passive und aktive Dehnungshaltung und damit die gesündest mögliche Grundhaltung in Stand und Bewegung, in Freiheit, so wie an der Longe als auch unter dem Reiter, die das Pferd im Rahmen seiner, durch sein Exterieur begrenzten Möglichkeiten idealerweise unter dem passiven Reiter unbeeinflusst von sich aus zeigt, oder die der Reiter durch aktive Hilfengebung hervorrufen kann.
Idealerweise entspricht die Grundhaltung der Basishaltung. Manche Pferde zeigen von Natur aus bereits in der Basishaltung eine Dehnungshaltung. In der Regel muss die Dehnungshaltung jedoch erarbeitet werden.
Das erste Ziel einer jeden Korrektur ist die Basishaltung. Aus der Basishaltung heraus wird durch Training die Dehnungshaltung erarbeitet. Das erste Ziel eines jeden Trainings für Pferde die noch keine Dehnungshaltung zeigen ist die Dehnungshaltung.
In der Basishaltung flüchtet besonders bei defizitären Pferden der modernen Zucht, die Wirbelsäule erheblich weniger vorwärts abwärts in Richtung Pferdeschulter als in ihrer Grundhaltung. Die Körpergelenke stehen bei den korrigierten Pferden zueinander weitestgehendst in einer neutralen Position. Aus dieser korrigierten Haltung heraus sind die meisten Pferde körperlich in der Lage, sich in eine oft insgesamt noch sehr waagerecht verlaufende Dehnungshaltung trainieren zu lassen bei der die Nasenspitze und und die Sitzbeinhöcker je nach Körperbau bei geöffnetem Genick eine annähernd waagerechte Linie bilden.
Ist die Basishaltung gefestigt, kann und wird sie jederzeit, nach jeder Lektion, jeder Anstrengung oder Enstpannung mühelos abegerufen werden.
Bei vielen Pferden kann die Basishaltung oder auch die Basishaltung in Dehnungshaltung durch den Reiter aktiv abgerufen werden. Bewegt sich das Pferd jedoch unbeeinflusst frei, nimmt es in der Regel oft noch eine Grundhaltung ein, die nicht der aktiv abrufbaren Basishaltung entspricht.
OKKASIONSHALTUNG
Die Okkasionshaltung ist die, durch den Körperbau begrenzte, gesündest mögliche Haltung, die ein Pferd situativ in den verschiedenen Lektionen oder Übungen mit und ohne Reiter einnehmen kann.
Im Arbeitstrab hat das Pferd eine andere Okkasionshaltung als im versammelten Trab. Im Schritt auf einer gebogenen Linie hat es eine andere Okkasionshaltung als im Schritt geradeaus. Im Galopp eine andere als im Schenkelweichen und so weiter.
Im Idealfall nimmt das Pferd unter Belastung in jeder Okkasionshaltung eine Dehnungshaltung ein. Das Ziel aller Bemühungen unter Belastung sollte immer die Dehnungshaltung sein. Eine Haltung also, in der das Pferd in jedem Moment in der Lage ist, seine Muskeltoni samt Strukturen den abgefragten oder von sich aus eingenommenen Bewegungsmomenten optimal und flexibel anzupassen. Die Ausnahme bildet die vollkommene Losgelassenheit. Jedes Pferd muss in der Lage sein Losgelassenheit zu zeigen. Eine ehrliche Losgelassenheit ist in erster Linie dadurch erkennbar, dass sich ein Pferd auch in dieser Kondition im Gleichgewicht befindet bzw. vorwärtsbewegt und in keiner Gangart vornehmlich auf der Vorhand läuft oder sich in eine scheinbare Losgelassenheit zieht oder drückt. Pferde, die sich in vermeintlicher Losgelassenheit wiederholt vermehrt zum Beispiel auf die Vorhand drücken oder ziehen, ihr Becken einziehen oder nach hinten herausdrücken, bewegen sich in dem Moment meist in einer für den Augenblick und für sie (partiell) zu starker Dehnungshaltung. Auch Losgelassenheit kann nicht erzwungen werden.
DEHNUNGSHALTUNG
Um grundlegenden Missverständnissen keinen Raum zu geben, unterscheide ich zwischen einer passiven Dehnungshaltung in der lediglich die Muskeln mit den angrenzenden Strukturen gestreckt, gedehnt, also in die Länge gezogen werden und einer aktiven Dehnungshaltung. Der Grad der passiven Dehnungshaltung erstreckt sich über den Körper eher ohne aufgedehnte Wirbelsäule und ohne Spannungsbogen, bei der aktiven Dehnungshaltung wird unter einem positiven Spannungsbogen die Wirbelsäule und der gesamte Skelettapparat durch Volumenvergrößerung der sich beim Arbeiten durch Atmung füllenden Muskulatur gestützt und entsprechend aufgedehnt. Der Grad und die Art der Dehnungshaltung ist stets mit den individuellen Gesundheitsaspekten & Exterieurkriterien und damit Möglichkeiten als auch dem abgefragten Bewegungsmoment der Pferde abzustimmen. Manchmal kann beobachtet werden, dass Pferde für den Moment oder auch dauerhafter überdehnt werden. Dies ist unbedingt zu vermeiden. Viele verspannte oder auch übermobile Pferde finden über sinnvolle Dehnung zu einer ehrlichen Losgelassenheit. Für eine gute aktive Dehnungsbereitschaft arbeiten wir zuträglich und in gesundem Maße in die Muskulatur und damit in den Körper, seine Stabilität und in sein Gleichgewicht hinein womit wir diese Aspekte für die Belastungsmomente fördern. Die vernünftige aktive Dehnungshaltung ist die Dehnungshaltung die hier beschrieben wird.
Die Dehnungshaltung ist die wichtigste aller Körperhaltungen unserer Pferde. Sie ist die Voraussetzung für die Belastung des Pferdes mit Reitergewicht. Sowohl in Lektionen an der Hand als auch beim Longieren und noch mehr unter dem Reiter sollte das Pferd in allen Gangarten stets eine Dehnungshaltung einnehmen.
Im Gegensatz zu einer nicht aufwölbend gedehnten bzw. lediglich gestreckt gedehnten Haltung bei der sich die Muskeln in die Länge ziehen, vergrößern sich in der aktiven Dehnungshaltung durch die Volumenzunahme der Muskulatur die Abstände zwischen den Wirbelkörpern und damit auch zwischen den Dornfortsätzen über die Länge der gesamten Wirbelsäule. In positiv gedehnter Spannung füllt sich die Muskulatur, gewinnt an Raum und schafft Platz, so dass alle Körperstrukturen stabil gestützt, getragen und an ihrem Platz gehalten werden. Sichtbar wird dies dadurch, dass sich das Pferd insgesamt verkürzt (zusammenstellt) und dabei gleichzeitig voluminöser erscheint. Diese Erscheinung nennt man Versammlung.
Die aktive Dehnungshaltung ist jede Körperhaltung, in der sich das Pferd unter einem positiven Spannungsbogen bewegt oder unter einem positiven Spannungsbogen steht bei der die Wirbelkörper und entsprechenden Körperstrukturen auf Abstand gehalten werden, das Skelett kräftig durch eine "atmende" Muskulatur gestützt wird und der Rücken sich sanft in einer gesunden Amplitude auf- und abbewegt. In der aktiven Dehnungshaltung bewegt sich das Pferd leichtfüssig in Selbsthaltung.
Von einem positiven Spannungsbogen spricht man, wenn das Pferd in Stand oder Bewegung seine Oberlinie und mit ihr seine Wirbelsäule durch aktive Muskelkraft stabilisierend stützt und aufwölbt. Diese Stützkraft ist mehr das Resultat einer guten Bauch- und Hinterhand- als das der Rückenmuskulatur selbst. Als Oberlinie bezeichnet man die Linie, die ungefähr von den Sitzbeinhöckern über die Kruppe entlang des Rückens über den Hals bis zum Genick und gedacht weiter in das Pferdemaul verläuft.
Der positive Spannungsbogen ist das Ergebnis und Ziel einer aktiven positiv gespannten und gut atmenden Gesamtmuskulatur des Pferdes. Der Organismus Muskulatur ist ein zusammenhängendes Körperkommunikationsnetz weswegen Muskeln grundsätzlich nicht einzeln isoliert zu betrachten sind. Hat das Pferd beispielsweise eine schwache Bauchmuskulatur wird es auch keinen reellen aktiv positiv gespannten Wirbelsäulenbogen zeigen können und wahrscheinlich auch eine schwache oder falsch ausgebildete Hinterhandmuskulatur haben.
Dehnt das Pferd Oberlinie und Wirbelsäule im Rücken auf, nicht jedoch im Hals, ist das keine Dehnungshaltung.
Dehnt das Pferd Oberlinie und Wirbelsäule im Hals auf, nicht jedoch im Rücken, ist das keine Dehnungshaltung.
Dehnt das Pferd seine Oberlinie nur in Teilen seines Halses (zum Beispiel nur im vorderen Halsdrittel) oder nur in Teilen seines Rückens (zum Beispiel nur in der Lendenwirbelsäule) auf und in anderen Teilen nicht, ist das keine Dehnungshaltung.
Einen positiven Spannungsbogen kann das Pferd nur aufbauen, wenn der Reiter auch seinen eigenen Körper in einem durchlässigen
positiven, der Belastung angepassten Spannungsbogen hält und seine Muskeln atmen lässt.
Die Lage der Wirbelsäule im Pferdekörper sagt nichts darüber aus, ob sie aufgedehnt bzw. aufgewölbt ist. Liegt die Wirbelsäule weit oben im Pferdekörper und zeigt sie eine Bergauftendenz sieht der Rücken fast immer gedehnt aus. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Wirbelkörper auch tatsächlich voneinander entfernen. Liegt die Wirbelsäule ungünstigerweise sehr tief im Pferdekörper und zeigt sie eine Bergabtendenz sieht der Rücken fast nie gedehnt aus. Reell kann es jedoch sein, dass die Dornfortsätze der tiefen Wirbelsäule einen gesünderen Abstand zueinander haben als die der weiter oben liegenden Wirbelsäule.
Nimmt ein Pferd mit einer unvorteilhaft tief im Körper liegenden Wirbelsäule eine reelle Dehnungshaltung ein, bei der sich die Wirbelkörper voneinander entfernen, kann es sein, dass es optisch nicht so wirkt. Einige dieser Pferde können trotz tief liegender Wirbelsäule durchaus bedingt geritten werden, andere jedoch sollten trotz reeller Dehnungshaltung gar nicht mit Reitergewicht belastet werden.
Wie stark die Muskulatur im Spannungsbogen stützen muss hängt von der abverlangten Bewegung ab. Wird zum Beispiel in Dehnungshaltung getrabt, ist die Muskelspannung geringer als in der Piaffe in Dehnungshaltung. Die Abstände der Wirbelkörper im Trab sind größer als die Abstände der Wirbelkörper in der der Piaffe. Allerdings sind die Wirbelkörper im Trab durch die geringere Muskelspannung und damit dem geringeren kompakt in die Höhe ausgerichteten Muskelvolumen weniger gestützt als in der Piaffe. In
einer Dehnungshaltung im positiven Spannungsbogen werden die Wirbelkörper und mit Ihnen die Dornfortsätze in jedem Fall immer auf Abstand gehalten. Im negativen Spannungsbogen, der sowohl durch zu kraftlose als auch durch verspannt zusammengezogene Muskulatur entstehen kann hingegen nähern sich die Wirbelkörper und damit auch die Dornfortsätze aneinander an. Verspannte Muskulatur zieht die Wirbelkörper zusammen, kraftlose stützt sie nicht, deswegen verringern sich in beiden Fällen die Abstände.
Man kann sich einen positiven Spannungsbogen und die sich öffnenden Wirbelkörperabstände auch mit Hilfe einer Spiralfeder vorstellen. In ihrer Grundspannung haben die einzelnen Spiralen einen bestimmten Abstand zueinander. Drücken wir die Feder an den Enden etwas zusammen steht sie unter leichter Spannung. Biegen wir die beiden Spiralfederenden jetzt nach unten, werden die Abstände zwischen den einzelnen Spiralen (Dornfortsätzen) grösser. Simuliert wird damit eine Dehnungshaltung unter einem leichten Spannungsbogen. Drücken wir nun die Federenden zwischen Daumen und Zeigefinger stärker zusammen, erhöhen wir die Spannung und die Abstände zwischen den einzelnen Spiralen werden kleiner. Biegen wir nun die im etwas gespanntere Feder ein wenig nach unten, werden die Abstände zwischen den einzelnen Spiralen (Dornfortsätzen) etwas grösser, insgesamt sind sie aber kleiner als die Abstände der Spiralen im ersten Versuch in der wir weniger Spannung erzeugt haben. So simulieren wir zum Beispiel die Dehnungshaltung in versammelnden und versammelten Lektionen wie z.B. Piaffe, Schulhalt und so weiter.
Hinweis: Die folgenden Beschreibungen sollen lediglich vorab einen generellen Einblick über die Verwendung der oben genannten Begrifflichkeiten ermöglichen. Die detaillierte, ausführliche Zuordnung mit den entsprechenden Erläuterungen erfolgt sinngemäß stets vor Ort. Kommentiert wird im Folgenden ausschließlich und nur der willkürlich abgebildete Moment, unabhängig von Alter, Rasse, Reitweise und Ausbildungsniveau. Die Beurteilung des Momentes sagt nichts über den tatsächlichen Gesamtzustand des Pferdes aus, der einzig vor Ort in Stand und Bewegung ermittelt werden kann.