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Der Reitersitz


Das Pferd setzt den Reiter

Reiten ist nicht nur eine erfüllende  und in jeglicher Hinsicht erholsame Freizeitbeschäftigung. Reiten ist auch eine Sportart, bei der alle Muskeln  und Körperstrukturen beansprucht und trainiert werden. Zudem fördert Reiten den Gleichgewichtssinn,  die Wahrnehmung, die Konzentration, körperliche und mentale Stabilität, die Reaktionsfähigkeit und viele weitere positive Eigenschaften.  Reiten beugt Verspannungen aller Art vor und fördert  die Geschmeidigkeit so wie geistige als auch körperliche Flexibilität. 

Vorausgesetzt der Reiter sitzt gut und gesund und das Pferd setzt den Reiter nicht in eine pathologische Haltung     aus    der er     sich nicht     befreien     kann.


Wenn wir auf dem Pferd sitzen, stehen wir ohne räumliche Distanz in direkter körperlicher Wechselwirkung mit dem Pferd. Aufgrund seiner Masse und Größe ist uns das Pferd körperlich hinsichtlich seiner Bewegungsdynamik weit überlegen. Durch diese Überlegenheit überträgt jedes Pferd die im Kapitel „Optimierung der Hilfengebung“ beschriebene Rotationsdynamik  in Form von Eigenbewegung auf den Reiterkörper. Man sagt auch: "Das Pferd setzt den Reiter".

 

Meine persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, dass reiterliche Probleme, die bei einem statisch unkritischen Pferd  auftreten zu über 80% mit einer Sitzkorrektur des Reiters behoben werden können. Bei Korrekturpferden die pathologische Merkmale im Exterieur zeigen würde ich  die Probleme zu  30 bis 50% dem Exterieur  des Pferdes und zu 50 und 70%  dem Sitz des Reiters zuordnen. Den restlichen Prozenten schiebe ich anderen Ursachen die Schuld zu  :-)

 

Der Reitersitz ist die absolute Basis und damit  von Anfang bis Ende das wichtigste Element  überhaupt in der Reiterei. 


Der ideale Sitz

Auf einem statisch unkritischen, normal gut gebauten Pferd mit gesundem Bewegungsablauf bilden beim Aussitzen idealerweise Sprunggelenk, Hüftgelenk, Schulter und Scheitel des Reiters eine Linie. Die Arme fallen gerade aus der Schulter heraus nach unten und tragen sich selbst. Die Ellenbogen berühren den Körper sanft an der Seite. Diese Haltung sollte völlig natürlich, bequem und unangestrengt eingenommen werden können. Der Körperschwerpunkt des Reiters liegt auf Höhe der Schambeinspitze ein wenig in Richtung Körperinnerem. Der Steigbügel berührt die Sohle des  waagerecht  locker auf dem Steigbügeltritt liegenden Fußes  auf Höhe des Fußballens.

 

Die wichtigsten körpereigenen Stabilitätsbezugspunkte sind die Brustwirbelsäule auf Höhe Mitte der Schulterblätter und die Fußballen. Zwischen diesen beiden fixen Punkten richten wir unseren Körper flexibel in ungezwungener positiver Grundspannung aus. Unser Hals trägt sich selber. Wir positionieren ihn als Kopfträger und Verlängerung     unserer    Wirbelsäule über   den letzten  Brustwirbel.  

Manchen Reitern hilft es, sich vorzustellen, ihre Halswirbel würden mit kleinen Zwischenabständen auf einer Schnur wie Perlen auf einer Perlenkette aufgereiht und am Schnurende gerade nach oben gezogen. Um den besonders wichtigen Bereich Hüfte /Lendenwirbelsäule / Körpermitte in einer entspannten Geschlossenheit zu halten, kann sich der Reiter ohne zusammenzusacken in seinen Körperschwerpunkt hineinatmen während er zwischen den beiden Stabilitätsbezugspunkten loslässt. Liegen alle Gelenke von einem flexiblen Muskelapparat gestützt und getragen locker und solide stabil übereinander, spricht man von positiver Körperspannung. 

 

In dieser Haltung sind alle Gelenke in einer natürlichen neutralen Position, aus der heraus sie in alle Richtungen innerhalb ihres gesunden Rotationsradius genug Platz zum Kreisen haben. Sie können in jeder Situation geschmeidig durch Dosierung der Muskelspannung der jeweiligen zuständigen Muskeln unabhängig von einander bedient werden.  

 


Beim idealen Sitz auf einem statisch unkritischen Pferd liegen Scheitel, Schulter, Hüftgelenk und Sprunkggelenk des Reiters lotgerecht auf einer Linie übereinander.
Beim idealen Sitz auf einem statisch unkritischen Pferd liegen Scheitel, Schulter, Hüftgelenk und Sprunkggelenk des Reiters lotgerecht auf einer Linie übereinander.

Sitzen wir auf einem Pferd mit einwandfreiem Exterieur, wird das Pferd seine gesunden Bewegungen auf unseren Körper übertragen. Außerdem fällt es dem Reiter bei einem statisch unkritischen Pferd leicht einen wie im Kapitel „Der Schwerpunkt“ beschriebenen lotgerechten Gesamtmassenmittelpunkt herzustellen, der Voraussetzung für eine effektive Hilfengebung ist.



Der optimal zweckmäßige Sitz

Ebenso wie ein ideal gebautes Pferd seine guten Bewegungen auf uns überträgt, überträgt auch ein Pferd mit mehr oder weniger starken körperlichen Defiziten  seine mangelhafte Motorik auf uns. Das Ausrichten der Schwerpunkte von Pferd und Reiter zu einem günstigen gemeinsamen Gesamtmassenmittelpunkt gestaltet sich bei statisch kritischen Pferden schwieriger als bei im Exterieur begünstigten Pferden, da die Pferdebewegung immer versucht den Reiterschwerpunkt in die Nähe des unvorteilhaften Pferdeschwerpunktes zu platzieren.

 

Solche Pferde ermöglichen es dem Reiter in der Regel nicht sofort einen gemeinhin als ideal geltenden Sitz aus dem heraus eine ideale Hilfengebung mit idealem Bewegungsergebnis resultiert einzunehmen. Würde der Reiter versuchen, auf einem Pferd, das aufgrund seines Gebäudes einen idealen Sitz (noch) nicht zulässt diesen zu erzwingen, hätte das auf Dauer unerwünschte körperliche Folgen für Pferd und Reiter. Unangenehme Muskelverspannungen sind meist die ersten Anzeichen, die nicht übergangen, sondern denen nachgegangen  werden sollte. 

Ein zum Beispiel überbautes oder vorhandlastiges Pferd mit tief unten/vorne liegendem Schwerpunkt versucht seinen Reiter nach vorne auf die Schulter zu schieben. Ein Pferd mit nach unten schwingendem Rücken wird versuchen den Reiter in diesen falschen, negativen Schwung mit hineinzunehmen. Ein Pferd mit ungünstig nach hinten herausgestelltem Becken wird versuchen das Reiterbecken in diese Richtung zu kippen und mit nach hinten zu ziehen, wodurch im Hohlkreuz sowohl das Kreuzdarmbein als auch die Lendenwirbelsäule strapaziert werden.

Die meisten Reiter versuchen sich intuitiv durch unter Anderem auch unbewusste Eigenkorrekturen diesen Bewegungen zu entziehen. Oft jedoch münden diese intuitiven Eigenkorrekturen darin, dass der Reiter versucht sich noch mehr mit seinem Körper den Pferdebewegungen anzupassen, anstatt sich schützend aus ihnen herauszunehmen. Durch diese gut gemeinte Angleichung verstärkt sich die ungesunde Bewegungsdynamik des Pferdes. In manchen Fällen verliert die Wirbelsäule vollends die Fähigkeit zu schwingen. Der Rücken bewegt sich  fast gar nicht mehr.


Reitersitz und Hilfengebung sind optimal so dem Exterieur des Pferdes anzupassen, dass der Reiter den bestmöglichen Gesamtmassenmittelpunkt herstellen, sich in defizitären Fällen spontan aus der Pferdebewegung herausnehmen kann und dennoch verspannungsfrei sitzt. Diesen Sitz bezeichne ich als optimal zweckmäßigen Sitz. In vielen Bewegungssituationen muss der Reiter entgegengesetzt seiner  intuitiven Intention Handeln.

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Es gibt  ihn nicht: DEN EINEN sofort guten und gesunden Sitz für jeden Reiter und jedes Pferd. Der Sitz ist insbesondere bei Korrekturpferden erst einmal auf die individuellen Gegebenheiten von Pferd und Reiter optimal zweckmäßig abzustimmen und im Laufe der Korrektur dem Ideal anzunähern. Gesundheit und Unversehrtheit des Reiters stehen dabei immer an erster Stelle.



Menschenskelett und Pferdeskelett als Vergleichsmodell

Direkte Vergleiche zwischen Pferdeskelett und Menschenskelett werden gerne für Erklärungsversuche herangezogen, die darstellen sollen, wie sich das Pferd in bestimmten Situationen oder Körperhaltungen fühlt. Vielen vermag das sympathisch erscheinen, da diese Übertragungsvorstellung erfolgreich suggerieren kann, nachvollziehen zu können, was ein Pferd in bestimmten Situationen spürt. 

 

Natürlich teile ich  die Idee, dass das Menschenskelett - wie vielen  anderen Säugetieren auch - dem Pferd in  einigen Körpermerkmalen ähnelt:

Köperbau von Pferd und Mensch. Mit freundlicher Genehmigung von NZZ-Infografik
Köperbau von Pferd und Mensch. Mit freundlicher Genehmigung von NZZ-Infografik

 

 

Bei aller Ähnlichkeit jedoch, ist ein Pferdeskelett im Gegensatz zu einem Menschenskelett dazu ausgelegt, sich auf vier und nicht auf zwei Beinen auszurichten und fortzubewegen. Allein die Relation der Knochenlängen (Hebel) im Verhältnis zueinander so wie grundsätzliche Skelettfunktionen der beiden Individuen unterscheiden sich erheblich. Bemuskelung, Statik, Funktion von Sehen und Bändern so wie Ausrichtung und Lage des natürlichen Köperschwerpunktes sind in keinster Weise vergleichbar. 

 

Der Vierfüsslerstand, der gerne in Referaten zu Demonstrationszwecken eingenommen wird, ist eine unnatürliche und damit an sich schon anstrengende Körperhaltung für den Menschen, deren Mühsamkeit sich mit jedem Bewegungsversuch in dieser Haltung steigert. Für das Pferd jedoch, ist der Vierfüsslerstand die einzig natürliche und damit richtige und unanstrengendste Fortbewegungsweise. 

 

Direkte Vergleiche zwischen Menschen- und Pferdeskelett, die demonstrieren sollen wie bestimmte Faktoren die Haltung oder das körperliche Empfinden eines Pferdes beeinflussen, sollten meiner Meinung nach, wenn überhaupt, vorsichtig und sehr objektiv gezogen werden. Unter Umständen erzeugen sie durch eine Realitätsverschiebung falsche Vorstellungen oder Wahrnehmungen der tatsächlichen Gegebenheiten.

 

 

Ganz hervorragend allerdings eignet sich die Ähnlichkeit in Knochenbau von Pferd und Mensch zur Darstellung, wie und warum sich Bewegungen zwischen Pferde- und Reiterkörper in Wechselwirkung zueinander auf die nahezu gleichen Körperbereiche übertragen, welche Auswirkungen diese Übertragung auf den Reitersitz hat und wie der Reiter mit Hilfe seines optimalen, zweckmäßigen Sitzes so effizient wie möglich auf den Pferdekörper einwirken kann.


Der Sitz als Bewegungs- und Energiekontrollinstanz

Energie kann nicht nur von einer Energieform in andere Energieformen umgewandelt, sondern auch auf andere Körper übertragen werden. Der Energieübertragungsweg in einem System wird auch Energiekette genannt. Energieübertragung ist häufig mit Energieentwertung verbunden.

 

Beim Reiten stellt, vereinfacht ausgedrückt,  das Pferd Bewegungsenergie zur Verfügung. Die Energieübertragungspunkte sind die physischen Berührungspunkte von Pferd und Reiter,  also die Punkte, an denen unser Körper den Pferdekörper berührt. In der Praxis finden sich all diese, den Pferderumpf einrahmenden Berührungspunkte, an unserem Körper ab den Sitzbeinhöckern mitsamt Gesäß abwärts bis zu unseren Füßen. Die Energiekette ist der Weg, den die Energie in Pferde- und Reiterkörper zurücklegt. Energieentwertung finden wir vor, wenn der Energieübertragungsweg nicht direkt, sondern beispielsweise über Umwege wie ausladende Bewegungen oder dem Umleiten vorbei an Blockaden erfolgt oder in einer Blockade stoppt. Die  Eigenschaft der Energieentwertung und Energieumleitung können wir uns in vielen Situationen bewusst zunutze machen, unkontrolliert jedoch können sie sich ungewollt negativ auswirken.  

Ein optimal zweckmäßiger Sitz erlaubt es uns, die Bewegungsenergie effizient und damit mit so wenig Kraftverlust wie möglich durch Pferde- und Reiterkörper fließen zu lassen. Die Bewegungsübertragungen finden bei Pferd und Reiter wie in den folgenden Grafiken jeweils gleichfarbig dargestellt, in den jeweils gleichen Körperpartien und Gelenken (Umlenkpunkten) statt:

Bild durch Click vergrößerbar. Quelle: SVPS, Genehmigung durch NZZ Infografik
Bild durch Click vergrößerbar. Quelle: SVPS, Genehmigung durch NZZ Infografik
Bild durch Click vergrößerbar. Quelle: SVPS, Genehmigung durch NZZ Infografik
Bild durch Click vergrößerbar. Quelle: SVPS, Genehmigung durch NZZ Infografik

In der Praxis bedeutet das, dass eine Bewegung die in der Pferdehüfte stattfindet sich auf die Reiterhüfte überträgt. Eine Bewegung die in der Pferdeschulter erfolgt, überträgt sich auf die Reiterschulter. Ein Pferd mit tiefer Brustwirbelsäule verleitet den Reiter dazu, seine Schultern nach vorne zu ziehen und einen Buckel zu machen. Ein Pferd das einen Reiter trägt der im Genick verspannt ist, wird darauf mit Verspannungen im Genick antworten. Ein Pferd  mit schwacher Bauchmuskulatur, dessen Wirbelsäule einen negativen Schwung macht verleitet den Reiter dazu im Hohlkreuz zu sitzen. Im Gegensatz dazu wird ein Pferd mit gut durchlässigem Kreuzdarmbeingelenk und entsprechend vorteilhafter Kraftübertragung in die Lendenwirbelsäule automatisch die Lendenwirbelsäule seines Reiters sanft mitwölben und aufdehnen.  

Aus einem zweckmäßigen, möglichst lotgerechten Sitz mit zuträglich ausgerichtetem  Gesamtmassenmittelpunkt kann jeder Reiter nach einiger Übung sowohl bei sich als auch bei seinem Pferd mehrere Gelenke und Körperpartien wahlweise zeitgleich, einzeln, nacheinander, gleich oder unterschiedlich stark ansprechen und bedienen.

 

Außerdem wird er immer genauer bestimmen, an welchen  Körperberührungspunkten er wann und wie viel der vom Pferd zur Verfügung gestellten Bewegungsenergie in seinen Körper aufnehmen möchte. Nach der Energieaufnahme koordiniert er immer geschickter und vorausschauender den Weg den die aufgenommene Energie durch seinen und den Körper des Pferdes nehmen wird.


Bewegungen von Pferd und Reiter übertragen sich aufeinander und finden grundsätzlich in den gleichen Körperpartien statt. Der Reiter bestimmt Ort, Menge und Zeit der Energieaufnahme als auch den Weg den die eingeleitete Energie  durch die Körper nehmen wird. 




Aufnehmen und Umlenken von Bewegungsenergie 

 

 

AUFNEHMEN VON ENERGIE

Wir nehmen die vom Pferd zur Verfügung gestellte Bewegungsenergie automatisch an den Körperkontaktpunkten die wir mit dem Pferderumpf haben auf. Nachdem wir die Energie aufgenommen haben, leiten wir sie auf einem  von uns bestimmten Weg durch unseren  und den Pferdekörper hindurch. Die verbleibende Energie lassen wir mittels Zügelkontakt über unsere Hände in das Pferdemaul oder bei gebissloser Zäumung über die Pferdenase in einem Vorwärts heraus. 

Energiefluss im Reiterkörper auf statisch unkritischem Pferd - Energieaufnahme im Hauptsächlichen über Sitzbeinhöcker
Energiefluss im Reiterkörper auf statisch unkritischem Pferd - Energieaufnahme im Hauptsächlichen über Sitzbeinhöcker

 

DOSIEREN VON ENERGIE DURCH MUSKELSPANNUNG

Durch das Dosieren unserer Muskelspannung und durch den „Anpressdruck“ unseres Körpers an den Pferdekörper bestimmen wir die Stelle und die Menge der Bewegungsenergie die wir vom Pferdekörper ableiten und in unseren Körper aufnehmen wollen. 

 

Angespannte aktive Muskulatur

Eine maximal straff angespannte, aktive Muskulatur blockiert den Energieeintritt in unseren Körper und die Weiterleitung der Energie durch unseren Körper hindurch maximal. Die Energie nimmt den Weg des geringsten Widerstandes der um diese Blockade herumführt. Führt kein Weg an dieser Blockade vorbei, so wird die Bewegungsenergie dort in kinetische Energie umgewandelt, womit der Energiefluss an dieser Körperstelle gestoppt wird.

 

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Ist beispielsweise das Reiterbecken durch Muskelanspannung festgestellt, kann der Energiefluss nicht weiter bis in die Wirbelsäule gelangen. Entweder stoppt der Energiefluss im Reiterbecken wodurch die Strukturen strapaziert werden oder die Energie verbleibt im Pferd und wird unter dem Reiter hindurchgeleitet.

 

Entspannte passive Muskulatur

Eine maximal entspannte, passive, schlaffe "Sandsackmuskulatur" ermöglicht es einer maximalen Energiemenge in unseren Körper einzutreten. Schlaffe Körper erzeugen ausladende Eigenbewegungen. Die so durch die spannungsfreie Muskulatur diffus ungeführte Energie sucht sich von allein den Weg des geringsten Widerstandes überall durch unseren Körper hindurch. Sie bahnt sich unkoordiniert ihren Weg durch das entspannte/schlaffe Gewebe. 


Aufgabe des Reiters ist es, sich innerhalb des Bereiches der maximalen Anspannung und der maximalen Entspannung für die jeweilige Situation zuträglich der genau passenden Muskelkontraktion zu bedienen. Dafür muss er wissen oder intuitiv spüren, durch welche Körperbereiche genau wann wie viel Energie hindurchgeleitet werden muss um ein bestimmtes Bewegungsergebnis beim Pferd zu erzielen. Ideale Voraussetzung dafür ist ein entspannt-stabiler, neutraler und jederzeit reaktionsfähiger Grundmuskeltonus aus dem heraus wir rasch eine jedem Bewegungswunsch flexibel angepasste Muskeltonusabstimmung vornehmen können. Unsere und die Muskulatur unserer Pferde muss atmen und pulsieren können.

 

DOSIEREN VON ENERGIE DURCH EIGENBEWEGUNG

Je mehr  ausladende Eigenbewegung ein Körper oder Körperbereich erzeugt, umso instabiler ist er und umso mehr Energie geht dabei in die Eigenbewegung hinein verloren (Energieentwertung)


Je weniger Eigenbewegungen wir erzeugen, je stärker wir also Energie auf kurzem Wege in unseren Körper „hineinschlucken“ und auf kurzem Wege hindurch- und weiterleiten umso weniger Energie geht verloren.


Der Winkel zwischen unseren Knochen die durch unsere Gelenke verbunden sind, bestimmt die Stellung unseres Rumpfes und unserer Gliedmaßen zueinander. Die Geschwindigkeit mit der wir unsere Gelenke beugen und strecken bestimmt zusammen mit dem Gelenkwinkel, wie ausladend eine Bewegung ausfällt.


Durch das Erzeugen von Eigenbewegung kann Energie auf einen Umweg umgelenkt werden. Für und auf diesem zusätzlichen Weg wird Energie verbraucht. Das Maß der Muskelspannung zusammen mit der Länge des Weges auf den die Energie gelenkt wird, bestimmt die Menge an Energie die dabei „verlorengeht“. Folglich kann durch das Umlenken von Energie und dem Erzeugen von Eigenbewegung die Energiemenge die am eigentlichen Zielort ankommen soll dosiert , bzw. verringert werden.


 

Durch das aufeinander Abstimmen unserer Gelenkstellungen zueinander mittels Muskelkraft, können wir die Energie in die von uns gewählte Richtung umlenken und am Zielort dosieren. Kontrolliert dosiert leiten wir die Bewegung über Muskel zu Muskel von Gelenk zu Gelenk durch unseren Körper hindurch.



Beispiele

Wir sitzen im leichten Sitz und das Pferd drückt sich mit den Hufen am Boden ab. Der Moment des Abdrückens ist der Moment, an dem die Kraft, Bewegung und Bewegungsenergie über die Steigbügel auf unsere Zehengelenke weiter über unsere Sprunggelenke nach oben in unsere Beine übertragen wird. Die Menge der Energie die wir in dem Fall über die Steigbügel und unsere Füße aufnehmen möchten, bestimmen wir zum Einen dadurch, dass wir die Steigbügel entweder weiter vorne an den Fußspitzen oder weiter hinten im ersten Fußdrittel am Fußballen nach den Zehengelenken positionieren. Zum Anderen bestimmen wie die Menge der aufzunehmenden Energie dadurch, wie weit wir unsere Ferse nach unten wippen lassen: 

Sehr vorhandlastige Pferde mit weit vorne/unten liegendem Schwerpunkt die zudem mit zu viel Schubkraft zu kämpfen haben laufen meist "unter der Schulter hindurch". Die Kraft wird nicht von hinten kommend über den langen Rückenmuskel in den verlängerten Rückenmuskel übergeleitet. Stattdessen bricht der Kraftfluss meist weit vor dem Widerrist spätestens im Trapezmuskelbereich ein und folgt in seiner Richtung der pathologischen Lage des Pferdeschwerpunktes nach unten:


 

Positionieren wir die Steigbügel weit vorne an den Zehengelenken und lassen wir dazu unsere Ferse instabil stark nach unten wippen, so geht viel Energie in diese Wippbewegungen hinein-verloren und wenig der aufgenommenen Energie wird in unsere Beine weitergeleitet. 

 

Positionieren wir die Steigbügel weiter hinten an den Fußballen und  halten wir die Sprunggelenke stabil und  die Ferse wenig wippend, erzeugen wir weniger Eigenbewegung und es wird viel der aufgenommenen Energie in unsere Beine hochfließen. 

 

Die Geschwindigkeits-drosselung solcher Pferde kann üblicherweise nicht korrekt durch das Setzen der Hinterhand mit vermehrter Lastaufnahme geritten werden. In diesen Fällen können wir dem zu Viel an Vorwärtsbewegung am besten aus zum Beispiel einem Vielseitigkeitssattel entgegenwirken. Zuerst stabilisieren wir unsere Sprunggelenke wodurch wir unseren Körper ein wenig aus der Pferdebewegung herausnehmen können. Durch  den darauf folgenden Knieschluss    in    der  Nähe der  

 

Pferdeschultern  nehmen wir etwas von dem Übermaß an Vorwärtsenergie aus der Vorhand des Pferes über unsere Knie in unseren Körper auf. Die aufgenommene Bewegungs-energie leiten wir dann duch unsere Oberschenkel in unser Becken hinein wo wir sie  durch eine wenig ausladende aber dennoch geschmeidig schwingende Bewegung mit starker aufwärts- und weniger vorwärtstendenz über unsere tiefen Bauchmuskeln zuerst in unsere Lendenwirbelsäule und dann in Richtung unserer Brustwirbelsäule leiten.


Je präziser wir den Energiefluss durch gut dosierte Muskelanspannung und Muskelentspannung durch den Reiter- und den Pferdekörper leiten können, umso besser ist unsere Energiebilanz und umso eher entspricht das Bewegungsergebnis unserer Vorstellung.