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Exterieur, Interieur, Beurteilung und Veredelung


Interieur

Unter Interieur werden in erster Linie die durch Zucht hervorgebrachten Eigenschaf-ten wie Temperament, Charak-ter, Leistungsbereitschaft, Kon-dition und Leistungsvermögen des Pferdes verstanden. Das Interieur  schlägt sich mehr oder weniger deutlich im beobachtbaren Verhalten des Pferdes nieder.

 

Exterieur

Als Exterieur bezeichnet man die züchterisch hervorgebrachten optischen körperlichen Eigenschaften des Pferdes wie Stabilität, Statik, Stellung der Gliedmaßen zueinander, Farbe, Gangvermögen, Beschaffenheit der Hufe, Ausdruck, Proportionen und physische Gesundheit.

 

Pferd im Rechteckformat
Pferd im Rechteckformat



Die wichtige Bedeutung von Interieur und Exterieur

Beide Kriterien entscheiden grundlegend darüber, wie sich die gemeinsame Zukunft des Pferd-Reiterpaares gestalten wird. Sie sind ausschlaggebend dafür, ob Ziele und Vorstellungen des Reiters realistisch erreicht werden können, ob sich bereits vorhandene  Probleme bei Reiter und Pferd verstärken, oder ob sich neue Schwierigkeiten hinzugesellen werden. Durch Korrektur und Training können sowohl das Exterieur als auch das Interieur optimiert werden. je nach Ausgangssituation wird sich mit jeder Exterieuroptimierung das Interieur verbessern und umgekehrt.

Anhand der Interieur - und Exterieurkriterien, in Bezug auf die Eignung als Reitpferd auch Reitpferdepoints genannt, wird festgelegt, ob das Pferd für die Zucht, für den Dressursport, den Springsport, für den Fahrsport, als Freizeitpferd oder für eine andere Sparte eingesetzt werden soll. 

 

Im Profireitsport, noch mehr im Amateurreitsport und noch viel mehr in der Freizeitpferdenutzung, in der das Pferd als Hobby dem Ausgleich, der Erholung und der sonstigen mehr oder weniger absichtslosen Bedürfnisverwirklichung des Besitzers dient, ist ein möglichst unkomplizierter täglicher Umgang mit einem sowohl in Interieur als auch in Exterieur gefestigten Pferd wichtig. 

 

Es ist mir ein Herzensanliegen, ins-besondere die Freizeit- und Amateursport- reiter  im Besitz von angemessen belastbaren und im Verhalten gesunden Pferden zu wissen, mit denen sie viele Jahre Freude haben :-) In aufklärender Absicht und um die Sensibilität für die Bedeutung der Gebäudeeigenschaften und für die Auswirkungen der in "Konzept, Aufklärung und § 11b" angesprochenen Zuchtentwicklung ein wenig zu schärfen, können im Kapitel "Beispiele und Erklärungen" darstellende Bilder angesehen werden. 

Pferde, insbesondere Großpferde, werden aus wirtschaftlichen Gründen für den Sport, oder im barocken Bereich vermehrt für Schowauftritte gezüchtete. Eine offizielle spezielle geförderte Freizeitpferdezucht gibt es nicht. Die Nachzucht, deren Leistungskriterien dem Profisport oder der Profishow nicht genügt, wird in der Regel der Amateursportsparte angeboten.

 

Verkaufspyramide

 

Die Pferde, die auch den Anforderungen der Ama-teursportsparte nicht vollumfänglich gerecht werden, werden der Freizeitreitersparte an-geboten. Ich nenne diese Hierarchie Verkaufspyra-mide.

Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein, da sich durch die Verkaufspyramidendynamik negative Einflüsse der modernen Elitezucht auch auf den Freizeitpferdebereich auswirken können. Freizeitpferde aus Hobbyzuchten  durchlaufen in der Regel keiner ausreichend fachkompetenten Sichtungen oder Prüfungen, was nicht bedeutet dass es grundsätzlich keine guten Freizeitpferde mehr gibt. Man muss nur sehr achtsam sein.

 

Weiter unten auf dieser Seite schneide ich stichpunktartig an, wie sich Körperproportionen und Statik der Pferde durch die moderne Zucht auf Kosten der Stabilität und des Interieurs verschieben.




 

Um Unglückskäufen vorzubeugen, sollte der angehende Pferdebesitzer vor dem Kauf eine klare Vorstellung davon haben, was er von seinem Pferd erwartet und er sollte wissen, welche Exterieur- und Interieurkriterien das Pferd aufweisen muss um diesen Erwartungen gerecht werden zu können.

 

Nicht selten wird sich in das äußere Erscheinungsbild und das Wesen eines Pferdes verliebt. Zuhause dann stellt sich über kurz oder lang heraus, dass das Pferd aufgrund seiner körperlichen Leistungsmerkmale nicht zu den Ambitionen seines Besitzers passt, ganz unabhängig davon, ob diese eher sportlich oder freizeitorientiert ausgelegt sind. 

 

Ganz besonders bei Käufen aus Mitleid sollte man wissen, ob und wie man dem Pferd wirklich helfen kann, seinen Zustand reell zu verbessern.



Kognitive Überlastung versus Reiz-Reaktionsmechanismus

Gerne werden Pferden mentale Fähigkeiten, wie überlegte Handlungsweisen oder situatives Nachdenken zugesprochen. Aufgrund dieser Vorstellung fürchten viele Besitzer, ihr Pferd geistig überlasten zu können. Ich spreche unseren Pferden keinesfalls mentale und in gewissem Rahmen schlussfolgernde Fähigkeiten ab, nur hat ein Pferd keine kognitiven Fähigkeiten in dem Ausmaß wie wir Menschen sie haben. Wäre ein Pferd zu ähnlichen kognitiven Denkprozessen fähig, wäre es uns definitiv nicht möglich auf einem Pferd zu reiten..

 

Pferde reagieren auf Einflüsse primär nach einem stressbasierten Reiz- Reaktionsmechanismus den sie genetisch als Überlebensstrategie in sich tragen. Faktisch bedeutet das, dass das Pferd ohne nachzudenken instinktiv immer den 1. sichersten  und 2. den Weg des geringsten Widerstandes wählt, was mitunter auch als intelligent bezeichnet wird und ist.

 

Psychisch überfordert ist ein Pferd im Grunde genommen schon dann, wenn wir es von der Koppel und damit aus dem Herdenverband herausholen. jede Handlung und jede Bewegung die wir dem Pferd gegenüber ausführen nimmt in  erster Linie Einfluss auf das Stresslevel des Pferdes. Geben wir dem Pferd zum Beispiel bei der Bodenarbeit Körpersignale, so wird es nicht darüber nachdenken was genau wir ihm nun damit sagen wollen, sondern es wird instinktiv sofort so lange alle Flucht- beziehungsweise Bewegungsoptionen ausprobieren, bis wir bei richtiger Reaktion aufhören das Signal zu senden. In dem Moment, in dem wir aufhören das Signal zu geben sinkt das Stresslevel.  Geben wir das Signal nun   erneut, wird   sich das  Pferd

aus der vorher gemachten Erfahrung heraus möglichst schnell die angenehmere und stressärmere Bewegungsoption suchen. Diesen Prozess könnte man als Lernen bezeichnen.

 

In erster Linie ist demnach keine mentale Überlastung im Sinne von kognitiver Denkarbeit seitens des Pferdes zu befürchten, sondern eher eine  Überlastung durch Stress der widerum in erster Linie dadurch verursacht wird, dass sowohl vom Boden aus als auch beim Reiten Signale und Hilfen unvorteilhaft gesetzt werden. Meist werden die Impulse in einem sehr ungünstigen Moment gegeben. Hinzu kommt, dass sowohl die Intensität als auch die Dauer unglücklich gewählt werden. Durch diese unkoordinierten Kommunikationsversuche muss das Pferd in kürzester Zeit  unverhältnismäßig viele Fluchtwege ausprobieren, ohne dass es eine bestätigte Lösung findet, was letztendlich zu schneller körperlicher und mentaler Erschöpfung führen kann.

Besonders bei Pferden die falsche Signale und damit auch falsche Körperhaltungen erlernt haben und korrigiert werden sollen, kann sich die Impuslumgestaltung bisweilen sehr komplex und vorläufig  unharmonisch darbieten.

 

Ausnahmslos jedes Pferd jedoch wird mit voranschreitender körperlicher Verbesserung stressresistenter und in jeglicher Hinsicht kommunikationswilliger.

Die aus dem Fluchtinstinkt hervorgehende ausgeprägte Bereitwilligkeit auf alle Impulse sehr schnell zu reagieren, zwingt das Pferd bei missverständlicher Hilfengebung zu einer unangemessenen Anzahl an Bewegungsversuchen , die es in Stress versetzen.

 

Um diesen Umstand möglichst zu vermeiden, sollten wir darauf achten, dass wir unsere Fragen klar,  unmissverständlich und damit so fein wie möglich  formulieren, die reaktiven Antworten in harmonische Bahnen durch den Körper lenken und die richtigen Antworten entsprechend sofort und deutlich  lobend bestätigen.



  Bindung durch Manipulation
Die größte Stärke unserer Pferde ist ihre wachsame Neugier. In dem Moment des ambivalenten Zustandes, in dem sich das Pferd uns oder einer Sache fluchtbereit  neugierig zuwendet, kann es durch positive Manipulation beeinflusst, also zum Bleiben animiert werden.
Das Pferd folgt immer dem angenehmeren, ungefährlicheren Weg und im Zweifelsfall immer dem gewinnbringenderen: Karotte + in Ungewissheit dableiben ist besser als keine Karotte + in Ungewissheit dableiben oder in Ungewissheit weglaufen.
Manipulation könnte man auch als das Anbieten eines wiederstandsarmen und im Zweifelsfalle gewinnbringenden Weges bezeichnen.

Bei Pferdebesitzern sehr beliebt ist die Manipulation durch das Geben von Leckerlies. Ich persönlich begegne dieser Belohnungsstrategie mit distanziertem Wohlwollen. Ein Pferd kann eine Belohnung die einem Ereignis folgt nur 3 bis 7 Sekunden lang diesem Ereignis korrekt zuordnen. In der Regel ist die Belohnungsgabe in dieser kurzen Zeitspanne in der Praxis nicht umsetzbar ohne dass der Fortlauf der Übung empfindlich gestört wird. Sowohl beim Longieren als auch beim Reiten müsste das Pferd ausgerechnet in genau dem Moment, in dem es etwas richtig macht angehalten werden. Nicht selten ordnen die Pferde demzufolge die Belohnung dem Anhalten und nicht der vorher richtig ausgeführten Bewegung zu. 

Es gibt bessere Belohnungsmöglichkeiten , die den Ablauf nicht stören.

Das Loben mit der Stimme bietet sich an, auch kombiniert mit dem sich ausschleichenden Unterlassen der haltungsbeeinflussenden Hilfen um das Pferd in eine, im Verhältnis zur vorher abverlangten Trainingshaltung rahmenerweiternde Haltung zu entlassen. Ähnlich dem "Zügel aus der Hand kauen", nicht zu verwechseln mit dem Zügel wegschmeißen  ;-)

Beim Einstudieren zirzensischer Lektionen und Übungen bei denen man sehr nah am Pferd steht sehe ich kaum Einwände für die Leckerliebelohnung. Da könnte man höchstens noch darüber streiten welche Leckerlies der Pferdegesundheit zuliebe gegeben werden sollten.



Beurteilung

Mit jedem Training, jeder Korrektur und jeder Aufklärung soll eine gegenwärtiger  Zustand verbessert werden. Für die Korrektur oder das Training selbst ist es im Grunde genommen unerheblich ob die Ursache der Schwierigkeiten ein Ergebnis der Zucht oder das Resultat anderer Umstände ist. Um einen Zustand verbessern zu können, muss man auch unabhängig von den Ursachen die Schwächen und Vorzüge des Pferd-Reiterpaares erkennen und man muss wissen, wie man die Vorzüge zur Behebung der Schwächen nutzen kann. Die Beurteilung der Pferde, bei der  die Schwächen und Vorzüge hinsichtlich ihres Exterieures und Interieures aufgezeigt und erklärt werden, ist deswegen unumgänglich und immer der erste und wichtigste Schritt bevor irgendetwas mit dem Pferd geplant werden kann. Unmittelbar danach folgt die Gesamtbeurteilung von Pferd mit Reiter während der  gemeinsamen Arbeit.

 

Zum Verkauf werden die Pferde dem potentiellen Käufer oft "aufgestellt" präsentiert. Das bedeutet, dass der Verkäufer seinem Kunden das Pferd in einer seiner Meinung nach vorteilhaften Haltung vorführt. Tatsächlich können mit einem gut aufgestellten Pferd ungünstige Körpermerkmale optisch vorläufig, bzw. kurzfristig kaschiert werden. nahezu jedes Pferd kann verkaufsstrategisch günstig vorgezeigt werden, weswegen es sehr wichtig ist, dass man sich das Pferd nicht nur  im Stand und an der Hand zeigen lässt, sondern  es sich auch im Freilauf , beim Freispringen, aber auch in vom Menschen unbeeinflussten Situationen wie in der Herde auf der Koppel und beim Ruhen öfter  und zu verschiedenen Zeiten ansieht.

 Die objektive, reflektierte Exterieur- und Interieurbeurteilug ist die erste Maßnahme und wichtigste Grundlage vor dem Kauf und vor allen weiteren Aktionen.

Eigenverantwortung

Eigentlich sollte ein Pferdekäufer kein Pferdegutachter sein müssen. Es ist die verantwortungsvolle Pflicht eines seriösen Verkäufers, den Käufer umfassend so zu beraten, dass das Pferd zu den Ambitionen, Neigungen, Vorstellungen und Wünschen des zukünftigen Besitzers passt. Hierzu gehören in erster Line die Ausführung und Erklärung der Interieur- und Exterieurkriterien und das Aufmerksam machen auf alle bekannten Mängel. Der Käufer hat Anspruch auf diese korrekte Beratungsleistung die er mit dem Kaufpreis mitbezahlt.

 

Sei es aus tatsächlicher Unkenntnis, insbesondere die modernen Zuchtprobleme betreffend, oder aus anderen Motiven - erfahrungsgemäß erfolgt diese Leistung nicht immer  im erforderlichen Umfang. Allerdings werden auch nur sehr wenige Händler oder Züchter, die ihre Kunden besten Wissens und Gewissens vorbildlich beraten und ihnen vielleicht sogar vom Kauf abraten, einer trotz dem gefassten Kaufentscheidung widersprechen. 

 

In letzter Instanz entscheidet eigenverantwortlich immer der Käufer.

 

Um dieses grundlegende, beidseitige Beratungsproblem nach und nach an der Basis zu ersticken, möchte ich an dieser Stelle jedem der sich unsicher ist, ganz unabhängig davon, auf welchem Niveau er sich reiterlich bewegt und für welchen Einsatzzweck er sich ein Pferd kaufen möchte empfehlen, sich mittels unabhängiger Informationsquellen vor dem Kauf vollumfassend über die Kriterien zu informieren, die das Pferd für die ihm angedachten Vorhaben aufweisen sollte.

Sollten diese Informationsquellen nicht ausreichen, möchte ich es nicht versäumt haben, wärmstens nahelzulegen, sich zur Begutachtung und/oder zum Kauf von einer unabhängigen fachkundigen Person, die sich unbedingt auch mit den modernen Zuchtproblemen auskennt, begleiten zu lassen. 



Grenzen der Veredelung

In der Leistungssportentwicklung wandelten sich mit den wachsenden Aufgaben und den veränderten Vorstellungen auch die Bedürfnisse der Reiter, die diese erfüllen müssen und mussten. Um dem rasch steigenden Niveau möglichst schnell gerecht werden zu können, reformierten sich parallel dazu auch die Anforderungen an die Leistungskriterien der Pferde. Es wurden immer gangstärkere und insgesamt in jeglicher Hinsicht gefälligere Pferde gewünscht. 

Ursprünglich wollte man züchterisch mit edlen, leistungsstarken und filigranen Vollbluteinkreuzungen Exterieur, Interieur, Geschmeidigkeit und damit Rittigkeit und Eigenschaften der ehemals empathisch als "Reitelefanten" bezeichneten Warmblutpferde verbessern. Wie bereits in "Konzept, Aufklärung und § 11b" angesprochen, wurde die gesunde Grenze der Veredelung im Laufe der Jahre allerdings deutlich überschritten. Anstatt der gut gemeinten Rittigkeitsverbesserung finden wir heute instabile, hypermobile, deformierte "Designerpferde", die oft sogar in ihrer Freizeit Schwierigkeiten haben, sich entsprechend ihrer ursprünglichen Natur als Fluchttiere artgerecht zu bewegen und zu verhalten.

Nicht jede Deformation, Anomalie, oder andere ungünstige Körperlichkeit kann der Überveredelung zugeschrieben werden. Und nicht jedes veredelte Pferd hat züchterisch bedingte Deformationen. Die pferdeaffinen Menschen, die auch unabhängig voneinander diesen Trend erkannt haben, sind sich jedoch zum Großteil darüber einig, dass die übertriebene Veredelung die Hauptursache für die meisten, sich hartnäckig manifestierenden, subjektiv oft schwer auszumachenden Pferd-Reiterprobleme ist. 

 

In der heutigen Zeit ein gesundes, stabiles Pferd zu finden, welches reell und rittig ausgebildet werden kann, gestaltet sich ausgesprochen schwierig, da sich die Veredelung mit ihren Folgen mittlerweile  durch fast alle Rassen und Reitsparten zieht. 

 

Besonders für den Freizeitreiter, der sich in der Regel nicht allzu intensiv mit dem Exterieur der Pferde auseinandersetzt, ist es nicht leicht, das für seine Bedürfnisse wirklich passende Pferd zu finden.



Zucht! Die unerkannte Problemursache

Die Wirbelsäule eines Warmblutes sollte von hinten nach vorne die sanft geschwungene, weich in Richtung Widerrist aufwärts verlaufende Oberlinienflucht begünstigen. Im Gegensatz zu den Westernrassen ist der gesamte Körperbau eines Warmblutes ursprünglich natürlicherweise darauf ausgerichtet, dass seine Wirbelsäule  dieser Bergauflinie folgt. Nur so kann das Warmblut den ihm zugedachten Einsatzbereichen körperlich genügen und nur so kann das Pferd bis hin zu einer reellen Aufrichtung und Lastaufnahme ausgebildet werden. 


Natürlich lässt es sich auch insgesamt darüber streiten, ob die gewollte Bergabtendenz bei den Westernrassen gesundheitlich bedenklich ist oder nicht.  In der Regel jedoch folgen  bei den Westernrassen nicht nur isolierte Körperteile dieser Flucht, sondern der gesamte Körperbau ist auf diese Tendenz ausgelegt. Wird allerdings  zum Beispiel die Wirbelsäule eines Warmblutes künstlich mehr oder weniger isoliert von seinen anderen Körperteilen bergab in Richtung Schulter-Ellbogen gezüchtet um das optisch gewünschte spektakuläre Ausgreifen der Vorhand zu verstärken, kann der restliche Körper diesen Umbau nicht ausgleichend stützen.


In kürzester Zeit kann dieses Phänomen selbst bei völlig normaler unspektakulärer Reitweise auch durch einen guten Reiter zu einem  in Relation zu der Belastung gesehen unverhältnismäßig stark trageerschöpften, vorhandlastigen Zustand mit entsprechendem Muskelschwund führen. Diese Entwicklung  ist in den durch Zucht verursachten Fällen keinem Pferdebesitzer oder Reiter anzulasten, da sie auch trotz größter  und korrektester reiterlicher Bemühungen kaum zu verhindern ist. Bestenfalls fällt dem Pferdebesitzer die negative Entwicklung rasch als Besorgniserregend auf und er sucht Hilfe.


In der Regel beginnt an dieser Stelle die Reise in die Welt der Osteopathen, Physiotherapeuten, Heilpraktiker, Kinesiologen, Akkupunkteure, Zusatzprodukte, Hilfsmittel, Sattler, Zahnärzte, Zubehör, Trainer, Ausstattung, Tierärzte, Futterexperten, Haltungsexperten und Pferdepsychologen. Jeder versucht sein Bestes, alle vielleicht vorhandenen Nebenprobleme werden beseitigt, das Pferd ist fachlich betrachtet faktisch mehr oder weniger gesund, die körperlichen Probleme des Pferdes jedoch konnten nicht gelöst werden. 


Bis hierhin ist oft schon viel  Zeit vergangen und viel Geld ausgegeben worden. Meist beginnen Pferdebesitzer an diesem Punkt, nicht selten verstärkt durch Bemerkungen aus dem unmittelbaren Umfeld, an ihren Reitkünsten zu zweifeln. Bei den durch Zucht bedingten Körperproblemen jedoch kann eine unangepasste Reitweise  freilich die Schwierigkeiten relativ rasch erheblich verstärken, die Ursache der Schwierigkeiten ist sie jedoch nicht.  

 


Jede Korrektur, auch die von nicht unmittelbar durch die moderne Zucht hervorgerufenen Defiziten, bedarf einer ganz individuellen Vorgehensweise. Die Verbesserung der  züchterisch hervorgerufenen Schwächen jedoch  muss noch wesentlich spezieller und exklusiver abgestimmt werden als  die der  durch andere Ursachen bedingten alltäglicheren Gebäudefehler.




Auswirkungen der Überzüchtung

Auf Kosten einer reellen Bergauftendenz verlagert sich der Körperschwerpunkt nach stark vorne/unten. Das Pferd "läuft in den Boden hinein".

 

Die Beckenstellung verschiebt sich zu Gunsten einer in Relation zur Tragkraft stehenden übertrieben starken Schubkraft nach hinten heraus. Das Pferd kann sich nicht "setzen".

 

Durch den vorlastigen Schwerpunkt  und dem hohen Schub drückt das Pferd seinen Körper nach vorne. Im  vergeblichen Versuch dieses    Unverhältnis       auszugleichen,  läuft es  immer schneller und unter seiner Oberlinie hindurch "Das Pferd läuft über Geschwindigkeit", "Es rennt seinem Schwerpunkt hinterher", "Das Hinterpferd überholt das Vorderpferd".

 

Rückständigkeit der zu sehr in der Schubkraft stehenden Hinterhand. Das Pferd versucht dieses Missverhälnis auszugleichen, indem es seine Vorhand weiter nach hinten unter den Leib stellt. Dadurch gerät die Vorhand ebenfalls in die Rückständigkeit. Das Pferd "kippt nach vorne".

 

Das Genick wird auf Kosten einer reellen Durchlässigkeit immer leichter und instabiler. Viele Pferde sind entweder nicht mehr in der Lage ihr Genick vollkommen zu öffnen, oder es stabil geöffnet  also durchlässig zu halten damit die Kraft über die Halsoberlinie weiter in das Maul fließen kann.

 

Ellbogen und Knie liegen häufig nicht auf einer Linie/Horizontalen. In solchen Fällen liegt das Ellbogengelenk der Vorhand entweder tiefer als das Kniegelenk  der Hinterhand (verstärkte Bergabtendenz) oder höher als das Kniegelenk der Hinterhand (künstlich herbeigezüchtete und damit vermeintliche Bergauftendenz).

In besonders schwerwiegenden Fällen versuchen die Pferde, um nicht zu sehr nach vorne zu kippen, ihre rückständige Hinterhand mit Gewalt so weit wie möglich nach vorne unter den Körper zu positionieren, indem sie krampfhaft das Becken nach vorne ziehen.

 

Der Widerrist wird optisch hochgezüchtet. Das bedeutet, dass die Dornfortsätze lang und hoch sind, die Wirbelkörper jedoch tief im Pferdekörper liegen. Die Muskulatur dort ist lang, aber nicht voluminös  und damit breit genug. Trapezmuskel und Verlängerung des langen Rückenmuskels verkümmern. Das Pferd kann seinen Hals nicht reell am Widerrist abstellen. 

 

Durch die tiefliegende, in die Schulter flüchtende Wirbelsäule fällt es dem Pferd schwer, die Vorhand vernünftig gewinkelt aus der Schulter heraus nach oben/vorne zu heben. Statt dessen werden die Vorderbeine waagerecht nach vorne geschleudert. Diese Pferde werden gerne auch als "Lampenaustreter" bezeichnet.

 

Der Hals wird immer dünner und länger. künstlich schwanenhalsartig gebogen verjüngt er sich nicht mehr  nach vorne. Die betroffenen Pferde halten sich meist im Genick und im oberen Halsdrittel hinter dem Genick fest. Dort findet sich auch meist eine zu stark ausgeprägte Muskulatur.

 

Die   Pferde   wirken und werden   in  ihrem  Wesen  immer freundlicher (lieber). In Wirklichkeit      jedoch      sind     sie         meist persönlichkeitsarm, introvertiert, wenig kommunikativ und willensschwach. 

 

Die Verhältnismäßigkeit der Körperproportionen stimmt nicht mehr, wodurch die Hebelgesetze ausser Kraft gesetzt werden. Im Versuch unter den Schwerpunkt zu  treten um Last aufzunehmen,       greift       die     Hinterhand 

waagerecht gestreckt ohne oder mit zu wenig Lastaufnahme zu weit nach vorne unter den Rumpf anstatt als Ergebnis einer reellen Hankenbeugung gesund gewinkelt nach oben/vorne in die Kraftübertragung durch das Kreuzdarmbeingelenk in den Rücken geführt zu werden. "Die Hinterhand greift mehr oder weniger in´s Leere".

 

Durchtrittigkeit - die Fesselgelenke berühren oft fast den Boden.

 

Die Gelenkstellungen insgesamt geraten immer mehr aus einem gesunden, natürlichen, eine Tragfähigkeit ermöglichendem Körperlot.

 

Taktverschiebungen wie zum Beispiel "Einfußtrab", passartige Schrittabfolgen, oder "Tralopp" und ähnlich unnatürliche Fußabfolgen mehren sich.

 

Im Verhalten sind viele dieser Pferde in der Regel überaufmerksam und  in Bezug auf die Situation in Relation zu ihrem natürlichen Fluchtinstinkt gesehen unangemessen stark reaktiv.

 

ECVM und weitere unveränderliche degenerative Defizite.

 

PSSM. PSSM gilt derzeit als genetische, nicht heilbare Muskelerkrankung. Dass diese Krankheit durch Vererbung weitergegeben wird stelle ich keinesfalls in Frage. Dennoch kann ich mir persönlich vorstellen, dass PSSM auch eine Folge von, den "modern" herangezüchteten Exterieurkriterien, nicht korrekt angepasstem Training sein kann. Fakt jedenfalls ist, dass mir bekannte Fälle von PSSM existieren, die durch sehr konsequentes, gut durchdachtes Trainingsmanagement enorm verbessert bis regelrecht unauffällig wurden.

 

 

... to be continued ...


Den Auswirkungen ordne ich eine große Anzahl an gesundheitlichen Konsequenzen zu, die sich im Laufe einer Korrektur und eines nachfolgenden Trainings verbessern können. Kissing Spines, Sehnenverletzungen, Blockaden, Fesslträgerverletzungen, Genickbeulen, unverhältnismässig dominante Muskulatur an falschen Körperstellen, Stoffwechselstörungen, Gallen, Headshaking, Muskelverhärtungen, Muskelverspannungen, Schwerfuttrigkeit, Leichtfuttrigkeit um nur ein paar zu nennen.


Orientierung

Ist man im Besitz eines züchterisch problematischen Pferdes, kann erfahrungsgemäß  eine zu starke Orientierung an züchterisch sehr gut oder einfach nur anders gebauten Pferden und deren Leistungsmöglichkeiten die eigene Weiterentwicklung erheblich behindern. Anders gebaute Pferde haben auch andere daraus resultierende Möglichkeiten und Fähigkeiten. Wollte man die gleichen Ziele erreichen die ein Anderer mit einem nahezu ideal gebauten Pferd erreicht, müsste man sich auch die Möglichkeiten erschaffen die der Andere hat. Konkret hieße das, dass man sich ein Pferd anschaffen müsste, welches zu genau diesen anderen Leistungen fähig ist. Genau so kann ein Pferdebesitzer dessen Pferd ein weniger günstiges Exterieur als unser Pferd hat, unseren Leistungsergebnissen nicht nachkommen. Wir sollten also stets in jede Richtung um- und nachsichtig sein..

 

Besonders in der Korrektur sollten die Ziele Anderer  in den Hintergrund gestellt werden. Wichtig sind die eigenen Möglichkeiten und die innerhalb dieser Möglichkeiten erreichbaren Ziele