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Perfektion, Nachlässigkeit und der goldene Mittelweg


Angemessene Konsequenz

Wer sich einmal dafür entschieden hat ein Training oder eine Korrektur zu beginnen, der sollte möglichst dranbleiben. Das Dranbleiben sollte sich in einem angemessenen Rahmen bewegen. Je nach Ausgangssituation bewegt man sich innerhalb dieses Rahmens zwischen einer echten Trainings- oder  Korrekturnotwendigkeit und einem reinen Spaßfaktor. 

 

Bei einer Korrekturnotwendigkeit wie sie beispielsweise bei pathologischen Anzeichen gegeben sein kann, ist es sehr wichtig, dass die Einheiten zuverlässig und regelmäßig in immer wieder neu  abgestimmten und damit für die Verbesserung nötigen idealen Zeitabständen stattfinden. 

 

Wenn purer Spaß der ausschließliche Selbstzweck des Trainings ist, weil man ein Pferd mit einem tollen Gebäude hat und vielleicht einfach mal etwas Anderes ausprobieren, seinen Trainingsalltag bereichern und ein Bisschen Abwechslung haben möchte, bieten sich spontan ausgemachte Einheiten oft viel besser an. 

 

 

In der Regel jedoch bedingt das Eine das Andere und wir trainieren, weil etwas verbessert werden will und wir dabei, damit und dadurch Freude haben  :-)



Perfektion

Viele messen dem Begriff Perfektionismus einen negativen Stellenwert bei. Tatsächlich ist unangemessen detailverliebter, oft von einer Art Zwangsidee begleiteter Perfektionismus, so wie er in der Regel verstanden wird, auch in der Reiterei nicht das Mittel der Wahl. Perfektionismus kann aber auch im Sinne vom gewünschten Maximum des Möglichen verstanden werden. 

 

Wer sich letztgenanntem, gesunden Perfektionismusgedanken  im richtigen Moment hingeben und sich im richtigen Moment davon auch wieder lösen kann, der kann damit beachtlich viel erreichen.

 

Grob zusammengefasst könnte man sagen, dass das Maß der angewendeten Perfektion in Relation zum körperlichen Zustand des Pferdes stehen sollte. Je schlechter der Zustand des Pferdes, umso kleiner der Grenzbereich von einer nützlichen zuträglichen zu einer schädlichen Bewegung und umso präziser muss der Trainer oder Pferdebesitzer die für eine Verbesserung notwendigen Anstöße platzieren. Dabei ist die  Ausführung einer korrigierenden Körperübung viel perfekter abzustimmen als eine Lektion oder Bewegungsausführung eines gesunden Pferdes im normalen Training. Nachlässigkeit in jeder Form, sei es bezüglich der Gestaltung der Trainingsabstände, der Ausarbeitung einer Einheit oder der ungenauen Umsetzung einer Unterweisung wirft ein Korrekturpferd im Vergleich zu einem Pferd im normalen Training unverhältnismäßig stark zurück.

Ist das Pferd schon sehr weit ausgebildet, entsprechend gut trainiert und möchte man dieses vorhandene Potential reiterlich ausschöpfen, kommt man ebenfalls um eine perfekte Hilfengebung nicht umhin. Ein solch stabiles und feines Pferd wird zwar nicht wie ein Korrekturpferd gesundheitlichen Schaden davontragen wenn wir kleine Fehler machen, es wird uns aber nicht besonders gut verstehen. Um herauszufinden was wir meinen, wird es viele kleine Zwischenbewegungen ausprobieren und sich gegebenenfalls für die Bewegung entscheiden, die seiner Wahrnehmung nach, der Hilfe am nächsten kommt. Um diese zehrenden Missverständnisse zu verhindern ist eine möglichst perfekte Hilfengebung eindeutig, klar, direkt und unmissverständlich zu geben, wodurch wir unserem Pferd ermöglichen, seine Bewegung effizient, sicher, reaktiv und unmittelbar auszuführen.


 

Je schlechter und je besser der körperliche Zustand des Pferdes umso perfekter im Sinne vom Maximum des Möglichen sollten wir unsere Hilfengebung und damit auch unsere  Korrektur- und Trainingsbemühungen abstimmen.



Nachlässigkeit

 

Im Normalfall verbringt man seine Freizeit mit dem Pferd. Die meisten wollen ihr Hobby genießen und dementsprechend zwanglos soll sich diese Zeit auch gestalten. Dazu gehören natürlich auch nachlässigere Zeiten. Man hat nicht immer Lust und manchmal auch einfach nicht die Möglichkeit vielleicht eigentlich erforderliche Trainings- oder Korrektureinheiten abzuleisten. Das sollte  kein Kopfzerbrechen oder schlechtes Gewissen bereiten.  Allerdings sollte man sich schon darüber im Klaren sein, dass – je nach Konstitution des Pferdes – diese Zeit später eventuell nachgeholt werden muss, vor allem dann, wenn man sehr lange ausgesetzt und das Pferd begonnen hat abzubauen.



Aufbau- Erhaltungs- und Abbaumodus

Um besser abschätzen zu können wie sich trainingsfreie Zeiten bis zur Wiederaufnahme auswirken, unterscheide ich zwischen einem  individuell unterschiedlich und vom Gesamtzustand abhängig definierten Aufbau- einem Erhaltungs- und einem Abbaumodus. Der Aufbaumodus beschreibt die Anzahl der Trainingseinheiten die in einer Woche notwendig sind um auf dem derzeitigen Trainingszustand aufzubauen, ihn also weiter zu verbessern. Der Erhaltungsmodus beschreibt die Anzahl der in einer Woche für das Erhalten des Trainingszustandes notwendigen Trainingseinheiten. Der Abbaumodus ist die trainingsfreie Zeitspanne ab der das Pferd beginnt abzubauen.

 

In der Regel beginnt ein Pferd nach ca. 10 trainingsfreien Tagen abzubauen. Individuell auf den derzeitigen Zustand des Pferdes abgestimmt, bewegt sich ein normaler Erhaltungsmodus normalerweise zwischen einer und drei Einheiten pro Woche.   

 

Ein Aufbaumodus bewegt sich erfahrungsgemäß zwischen idealerweise zwei und vier Einheiten pro Woche. 

Hat man beispielsweise bei einem Pferd, dessen Aufbaumodus bei drei und dessen Erhaltungsmodus bei einer Einheit pro Woche liegt drei Wochen keine Lust oder Zeit, kann man davon ausgehen, dass man bei Wiederaufnahme nicht auf dem Level anknüpfen können wird bei dem man aufgehört hat. Man wird erfahrungsgemäß wahrscheinlich auf einem Level starten, welches das Pferd ca. zwei bis vier Wochen vor der Trainingsunterbrechung hatte. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

Mit einem Pferd, dessen Erhaltungsmodus bei zwei Einheiten pro Woche liegt wird man nicht viel weiterkommen, wenn man nicht wenigstens alle zwei Wochen eine dritte Einheit dazu nimmt. 

 

Mit diesem Hintergrund kann man recht realistisch abschätzen, wie viel man in welcher Zeit erreichen möchte und darf sich also seinen Erwartungen entsprechend ganz entspannt zurücklehnen oder sich  fleißig in Konstanz üben. 




Der goldene Mittelweg

Hat man sich Trainingsziele gesteckt, tut man gut daran, diese weder mit einem unverhältnismäßigen Streben nach Perfektion zu verfolgen, noch sie durch zu viel Nachlässigkeit aus den Augen zu verlieren. Für motivationslosere Pferdezeiten würde ich beispielsweise empfehlen, wenigstens den Erhaltungsmodus aufrechtzuerhalten. Nach motivationsloseren Zeiten kommen meist sehr motivierte Zeiten in denen es günstig wäre, nicht allzu viel verlorene Trainingskondition nachholen zu müssen um auf einem guten Level anzuknüpfen. Zudem danken es uns die Pferde, für die wir die Verantwortung übernommen haben .

Fokussiert man sich zu sehr auf das unbedingte Gelingen einer ganz bestimmten Sache kann es passieren, dass die für ein spielerisches Interagieren oft notwendige Kreativität verlorengeht und man sich dadurch unbewusst anderen, vielleicht in dem Moment zuträglicheren Lösungswegen verschließt.  

 

In einigen meiner Kapitel  schreibe ich über das individuelle Ideal im Vergleich zum idealen Ideal. Das ideale Ideal ist eine, von vielen Menschen beziehungsweise der Allgemeinheit als perfekt bestimmte Vorzeigegröße. Nur weil viele Menschen mit etwas übereinstimmen, bedeutet das jedoch nicht, dass dieses Ideal auch ein gutes Ideal ist. Jeder von uns hat jederzeit die Wahl, mit einem idealen Ideal übereinzustimmen oder nicht. Das individuelle Ideal ist die von einem selbst gewünschte und für einen selbst mit den eigenen, zur Verfügung stehenden Mitteln erreichbare perfekte Größe, mit der man sich selbst und in jedem Fall auch der Trainer identifizieren kann.